Podiumsdiskussion: Zeitenwende – Wie nehmen wir unsere Kinder mit?

Berlin, 12. Juni 2024. Die aktuellen Entwicklungen der sogenannten Zeitenwende haben erhebliche Auswirkungen auf die Bundeswehr. Soldatinnen und Soldaten müssen flexibel und proaktiv auf die dynamischen Veränderungen in der globalen Sicherheitslandschaft reagieren. Dies führt zu einer hohen Belastung durch vermehrte und längere Einsätze und intensiviertes Übungsgeschehen sowie zu einer erhöhten Bedrohungslage durch die Möglichkeit einer Bündnis- bzw. Landesverteidigung. Ein prägnantes Beispiel für diese Herausforderungen ist die dauerhafte Stationierung einer kompletten Brigade in Litauen, bei der auch die Familien der Soldaten mitziehen sollen. Diese Situation verdeutlicht die enormen Herausforderungen, denen Bundeswehrangehörige und ihre Familien gegenüberstehen.

In der gut eineinhalbstündigen Podiumsdiskussion, die am vergangenen Montag im Weißen Saal im Haus der Evangelischen Militärseelsorge stattfand, wurde darüber gesprochen, welche Folgen sich aus den oben genannten Herausforderungen für die Bundeswehrfamilien und besonders die Kinder und Jugendlichen ergeben.

Im Namen des Vorsitzenden der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Soldatenbetreuung (EAS), Generalstabsarzt Dr. Ralf Hoffmann, der aufgrund dienstlicher Verpflichtungen nicht an der Veranstaltung teilnehmen konnte, begrüßte Hauptgeschäftsführer Rolf Hartmann die mehr als 50 geladenen Gäste aus Bundeswehr, Seelsorge, Politik, Wirtschaft und anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Anschließend folgte ein Grußwort des Evangelischen Militärbischofs Dr. Bernhard Felmberg, der zunächst die Teilnehmenden auf dem Podium vorstellte und allen Gästen für ihr Erscheinen und ihr Interesse an diesem wichtigen Thema dankte. Dabei betonte er die Wichtigkeit des Diskussionsthemas „Zeitenwende – Wie nehmen wir unsere Kinder mit?“ und stellte die Frage, ob wir Kinder und Jugendliche mit Sicherheitspolitik und aktuellen politischen Entwicklungen konfrontieren wollen. „Kinder brauchen Schutz und Fürsorge, denn sie machen sich Gedanken und Sorgen. […] Wir müssen mit Kindern darüber reden, was sie selbst wissen wollen – besonders mit Kindern aus Bundeswehrfamilien“, so Dr. Felmberg.

Im Anschluss führte Diplom-Sozialpädagogin & Kinder- und Jugendtherapeutin Cordula Klaffs, die als Therapeutin bereits viele Paar- und Familienfreizeiten für Bundeswehrangehörige der EAS begleitet hat, mit einem Kurzvortrag in die Thematik ein.

Was brauchen Kinder, um sich sicher und aufgehoben zu fühlen?

Kinder brauchen in erster Linie Sicherheit und Stabilität, um sich wohl und geborgen zu fühlen. In Zeiten der Unsicherheit ist es besonders wichtig, dass sie Rückhalt und Unterstützung erfahren. Eltern und Bezugspersonen sollten daher verstärkt darauf achten, den Kindern ein Gefühl von Normalität und Geborgenheit zu vermitteln. Dazu gehört auch, offen mit ihnen über die Situation zu sprechen und ihre Fragen ehrlich zu beantworten. Kinder sollten wissen, dass ihre Sorgen ernst genommen werden und dass sie in ihrer Angst nicht allein sind.

Unter der Moderation von Julia Weigelt, die als Fachjournalistin für Sicherheitspolitik tätig ist, begann die in zwei Themenblöcken gegliederte Diskussionsrunde mit der Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages Dr. Eva Högl, der Leiterin Psychologischer Dienst der Bundeswehr Susanne Bruns, dem Referenten Einsatzbegleitung im Evangelischen Kirchenamt für die Bundeswehr (EKA) Militärdekan ThDr. Michael Rohde, der als Militärpfarrer bereits mehrere Auslandseinsätze der Bundeswehr begleitet hat, der Lehrerin, Mutter und Ehefrau eines Soldaten Christiane Rehder sowie Diplom-Sozialpädagogin & Kinder- und Jugendtherapeutin Cordula Klaffs.

Zu Beginn der Diskussionsrunde erfolgte eine Bestandsaufnahme zu den aktuellen Herausforderungen mit Fokus auf die Kinder und Jugendlichen in Bundeswehrfamilien. Auf die Frage, ob es bereits Eingaben speziell zu diesem Thema gab, betonte die Wehrbeauftragte Dr. Eva Högl zunächst, dass „die Unterstützung der Soldatinnen und Soldaten mit Kindern ein sehr ernstes Thema ist […] und unsere Soldatinnen und Soldaten nur voll und ganz einsatzbereit sind, wenn sie wissen, dass für ihre Familie gesorgt ist.“ Die Frage wideraufgreifend antwortete sie, dass es speziell hierzu noch keine Eingabe gegeben hat, jedoch grundsätzliche viele mit dem Fokus auf „Soldatinnen und Soldaten und ihre Familien und deren bestmögliche Unterstützung“. Darüber hinaus appellierte sie dafür, mit den Kindern in einer geeigneten Sprache über Krieg und Frieden zu sprechen.

Militärdekan ThDr. Michael Rohde konnte die Aussagen der Wehrbeauftragten bestätigen und ergänzte, dass „wir Familien untereinander wieder sprachfähig machen“ müssen. Dabei verwies er auf die von der Militärseelsorge angebotenen Familienrüstzeiten, die auch dazu beitragen, sich mit den Kindern von Soldatinnen und Soldaten auszutauschen, und wo deren Sorgen und Bedürfnissen ernst genommen werden. Susanne Bruns, Leiterin des Psychologischen Dienstes der Bundeswehr, betonte, wie wichtig es ist, „dass die Eltern zunächst selbst gefestigt sind, um die Fragen ihrer Kinder zu beantworten“. Sie wies darauf hin, dass es für Soldateneltern schwierig sei, die richtigen Formulierungen zu finden, da jedes Alter seine besonderen Herausforderungen hat. „Es darf nicht zu kompliziert werden, […] daher bieten wir im Rahmen von Gesprächen Unterstützung an.“

Christiane Rehder, die als Lehrerin für die Bundeswehr im Ausland gearbeitet hat, beschrieb, dass viele Soldateneltern eine Veränderung bei ihren Kindern bemerken. Als Mutter und Soldatenfrau betonte sie die Wichtigkeit, Kinder achtsam wahrzunehmen und ihnen Austauschmöglichkeiten zu bieten. Sie bezeichnete die Angebote der Militärseelsorge vor Ort als durchweg positiv, da sie Gemeinschaften fördern, in denen Kinder ihren eigenen Raum haben. Cordula Klaffs ergänzte, dass es wichtig sei, die Kinder miteinzubeziehen und ihnen eine feste Perspektive aufzuzeigen, beispielsweise durch Aussagen wie „auf diese Schule werde ich gehen“ oder „so sieht es dort aus“.

Anschließend gab es die Möglichkeit, Fragen aus dem Publikum zu stellen. Diese konzentrierten sich verstärkt auf die Zukunft, insbesondere auf die örtlichen Rahmenbedingungen für die Betreuung der Soldatenfamilien bei der neu aufzustellenden Brigade in Litauen, die der Sicherung der Ostflanke der NATO dient.

Die Auswirkungen auf Kinder und Familien

Die Verlegung einer Brigade nach Litauen bringt erhebliche Veränderungen und Herausforderungen für die betroffenen Familien mit sich. Insbesondere die Kinder sind direkt von diesen Veränderungen betroffen und müssen mit den damit einhergehenden Ängsten und Unsicherheiten umgehen. Die Konfrontation mit der Möglichkeit einer Kriegssituation kann bei ihnen Ängste auslösen, die es zu bewältigen gilt. Es ist daher essenziell, die Auswirkungen dieser Entwicklungen auf die Kinder zu verstehen und Maßnahmen zu ergreifen, um sie bestmöglich zu unterstützen.

Im zweiten Teil der Veranstaltung wurde in die Zukunft geblickt und die Frage gestellt, welche Veränderungen und neuen Angebote für Bundeswehrfamilien notwendig sind. Um die Familien der Bundeswehrangehörigen bestmöglich zu unterstützen, bedarf es gezielter Maßnahmen, darunter:

  • Psychologische Betreuung: Der Zugang zu psychologischer Unterstützung für Kinder und Eltern kann helfen, mit den Ängsten und Sorgen umzugehen. Spezialisierte Fachkräfte können den Familien Strategien an die Hand geben, um mit den Belastungen besser zurechtzukommen.
  • Bildungsangebote: Schulen und Kindergärten sollten über die besonderen Herausforderungen der betroffenen Kinder informiert sein und entsprechende Unterstützungsangebote bereitstellen. Dies kann beispielsweise durch spezielle Programme zur Förderung des sozialen Zusammenhalts und der Resilienz geschehen.
  • Gemeinschaftsunterstützung: Der Zusammenhalt innerhalb der Gemeinschaft der Bundeswehrfamilien kann eine wichtige Stütze sein. Gemeinsame Aktivitäten und Austauschmöglichkeiten bieten den Familien die Möglichkeit, sich gegenseitig zu unterstützen und Erfahrungen zu teilen.
  • Flexibilität und Rückhalt durch den Dienstgeber: Die Bundeswehr als Arbeitgeber sollte flexibel auf die Bedürfnisse der Familien reagieren. Dies kann durch flexible Arbeitszeiten, die Möglichkeit zur Heimarbeit und andere unterstützende Maßnahmen geschehen.

Gemeinschaftliche Anstrengungen in Zeiten des Wandels

Die Herausforderungen der Zeitenwende erfordern eine gemeinschaftliche Anstrengung, um die Familien der Bundeswehrangehörigen zu unterstützen. Durch gezielte Maßnahmen und ein offenes Gespräch über die Bedürfnisse der Kinder und Eltern kann dazu beigetragen werden, dass sich die Familien sicher und aufgehoben fühlen. Nur so können die Soldatinnen und Soldaten ihren Auftrag bestmöglich erfüllen und gleichzeitig die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden ihrer Familien gewährleisten.

Als Eltern und Bezugspersonen müssen Wege gefunden werden, die Kinder in dieser Zeitenwende zu begleiten und ihnen die nötige Sicherheit und Unterstützung zu bieten. Gemeinschaftliche Anstrengungen können die Resilienz der Kinder stärken und ihnen helfen, diese Herausforderungen zu meistern.

Dr. Sara Bock, Abteilungsleiterin Betreuung & Organisationskommunikation dankte den Gästen, die der Einladung zu diesem wichtigen Thema gefolgt waren. Sie betonte die Bedeutung der Aufgabe, Kinder und Jugendliche in dieser herausfordernden Zeit zu begleiten und sprach ihren Dank für die Initiative und das Engagement allen Beteiligten in diesem Bereich aus.

Nach einer lebhaften Diskussionsrunde nutzten die Gäste die Gelegenheit, bei einem Imbiss die Diskussion in Einzelgesprächen zu vertiefen.